Präzisionsmedi­zin gesucht für das Gesicht unter Tausenden

Das Multiple-Sklerose-Zentrum sowie die Forschungsgruppe Digital Health und der Lehrstuhl für Softwaretechnologie der TU Dresden freuen sich über die Förderzusage der Sächsischen Aufbaubank in Höhe von rund 841.400 Euro. Mithilfe der Fördersumme wollen die Projektpartner ein IT-System zur datengetriebenen Charakterisierung von Patiententypen (Phänotypisierung) realisieren. Ihr Ziel ist es, ganz im Sinne der Präzisionsmedizin, die Grundlage für eine personalisierte Versorgung von an MS erkrankten Personen zu schaffen.


Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Die MS verläuft individuell unterschiedlich – ein multidisziplinäres Team an der TU Dresden möchte die „tausend Gesichter“ der Krankheit sichtbar machen. Schon bevor ein Patient die Diagnose MS erhält, werden im Zuge der Anamnese und notwendiger Untersuchungen viele Daten erhoben.


Mit der Diagnose fallen im Verlauf der weiteren Behandlung und den routinemäßigen Kontrollterminen weitere Daten an. Im Laufe eines Patient:innenlebens entsteht so eine individuelle Datenspur entlang des klinischen Pfads, den Patient:innen im Versorgungsystem durchlaufen.


Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts DigiPhenoMS („Digital phenotyping for intelligent management of Multiple Sclerosis“) steht die Auswertung der multidimensionalen Datensätze, die mit jedem Pfad verbunden sind. Mittels künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernalgorithmen wollen das Multiple-Sklerose-Zentrum, die Forschungsgruppe Digital Health und der Lehrstuhl für Softwaretechnologie der TU Dresden die „verschiedenen Gesichter“ der Krankheit aus den Datensätzen heraus sichtbar machen.


Sämtliche erhobene Daten werden aktuell lediglich statisch für die Dokumentation und Steuerung von Versorgungsmaßnahmen der Patient:innen verwendet. Mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen wird es möglich, Datensätze umfassend auszuwerten und sinnvoll zu gruppieren, sodass Modelle für die Pfade und Phänotypen von Patient:innen kreiert werden können. Diese Modelle können im Praxisalltag die Organisation von Behandlungsabläufen unterstützen, indem alle Akteure über eine digitale Plattform auf die Modelle zugreifen, diese in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen und weitere Abläufe individuell anpassen können. Individuelle Anpassungen wiederum führen zu einem Lerneffekt innerhalb des intelligenten Systems.


Es ist vorgesehen, dass die Pfade und Phänotypen in einem zentral zugänglichen System hinterlegt werden. So entsteht die Option, allen an der Versorgung beteiligten Personen darauf Zugriff zu gewähren. Die Interaktion ermöglicht eine enge Kooperation ohne Informationsverluste. Patient:innen profitieren davon, dass auch sie ihren Behandlungsplan in digitaler Form einsehen und individuelle Behandlungsanpassungen nachvollziehen können. Zudem kann der Plan ihnen dabei helfen, ihre Wünsche und Sorgen bezüglich geplanter Behandlungsschritte zu äußern.


Am Beispiel MS entsteht im Rahmen des Forschungsprojekts DigiPhenoMS der Prototyp für einen IT-Dienst (Smart Pathway Service) zur datengetriebenen Charakterisierung von Patient:innen. Mithilfe des Dienstes können Ärzt:innen ihren Patient:innen bislang verborgen gebliebene Phänotypen zuweisen, ihnen ein passendes Behandlungsschema zuordnen und individuell justieren. Das Krankheitsbild der MS eignet sich aufgrund der individuell unterschiedlichen Symptome und der variablen Verlaufsformen für die Entwicklung eines solchen intelligenten Dienstes. Mit der Umsetzung von DigiPhenoMS liefern die Projektpartner einen wichtigen Beitrag zur Realisierung des „Digitalen Zwillings“ in der Medizin. Hinter diesem Konzept steht die Idee, dass für jede:n von uns, bei Bedarf eine virtuelle Kopie vorgehalten werden kann, die unseren Gesundheitszustand exakt widerspiegelt. Anhand des „Digitalen Zwillings“ ließen sich einzelne Behandlungsschritte einschließlich ihrer Wirkung vorab simulieren und individuelle Verläufe von Erkrankungen wie der MS abbilden. Mit DigiPhenoMS leistet das Konsortium in diesem Sinn auch Pionierarbeit für andere Versorgungsszenarien (z. B. in der Onkologie oder bei Stoffwechselerkrankungen), in denen perspektivisch der „Digitale Zwilling“ ebenfalls zum Einsatz kommen könnte.


Quelle:

https://tu-dresden.de/med/mf/die-fakultaet/newsuebersicht/praezisionsmedizin-gesucht-fuer-das-gesicht-unter-tausenden