Nr. 27
Die Neurologische Identität
Hallo zusammen,
mal wieder von Eurem Sherlock MS!
Kaffee, Reflexhammer und ein Schlag auf die Stirn
Ich sitze an meinem Londoner Schreibtisch, der Kaffee hat mittlerweile die Konsistenz von Kontrastmittel angenommen, und mein Reflexhammer parkt quer über dem Notizblock, eine kleine Provokation an die neurologische Ordnung.
Während ich über das so eben gelesene Paper zur Kernidentität des Neurologen von Joseph E. Safdieh und Mathew Stuart Robbins nachdenke, spüre ich förmlich den freundlichen Schlag auf die Stirn. Wir alle verlieren uns zu gern in unseren schönen Nischen – ich als begnadeter MS-Spurensucher voran – und vergessen dabei, was uns eigentlich ausmacht: Anamnese, Untersuchung, Lokalisation, sauberes Denken!
Subspezialisierung darf bleiben, aber nur als Verlängerung dieser Grundhaltung, nicht als Ersatz. Sonst zerfasert unsere neurologische Versorgung: Patienten wandern durch isolierte Labyrinthe, Titel stiften Verwirrung, und in der Ausbildung fehlt die diagnostische Breite.
Fälle, die mehr erzählen als Diagnosen
Ich blättere durch meine eigenen Fälle: der Patient, der mit Schwindel erst in der Vestibularsprechstunde, dann beim Kopfschmerzer und schließlich bei mir landete; die Überweisung, deren Diagnose in Versalien prangt, während die Realität klein gedruckt darunter schlummert; die Sprechstunde, in der ich mehr von der Anamnese lernte als aus dreißig Seiten Vorbefunden. Genau darum geht’s: Ich bin nicht der Mann der großen Maschine, ich bin der Typ mit der Landkarte im Kopf. Anamnese, Untersuchung, Lokalisation, Pathophysiologie: das ist meine Muttersprache. Alles andere sind Dialekte.
Erst Neurologe, dann Spezialist
Das Paper sagt: Sei erst Neurologe, dann entstaube ich mein Namensschild: Oben schlicht „Neurologe“, unten klein „mit Schwäche für Myelinrätsel“. In der Ausbildung heißt das für mich: mehr Morgenberichte, in denen wir wirklich lokalisieren, und Sprechstunden, die symptomgetrieben bleiben, damit die graue Substanz im Kopf nicht zur Deko verkommt. In der Klinik bedeutet es: weniger Staffellauf zwischen Spezial-Silos, mehr Hypothesen mit Zielkoordinaten. Und für mich persönlich heißt es, den Reflexhammer nicht wie ein Zepter zu schwingen, sondern als Erinnerung: Du bist Diagnostiker. Denk erst, dann drückst du auf „Bildgebung“.
MS jagen – aber mit Weitblick
Ich werde weiter MS jagen – klar doch – aber nicht als Inselstaat, sondern als Teil des Kontinents Neurologie. Subspeziell handeln, neurologisch denken - das ist mein Kompass. Und wenn ich mich das nächste Mal frage, wer ich bin, beantworte ich es in einem Satz, ohne Schnörkel: Ich bin SherlockMS, Neurologe; meine Nische ist mein Hobby, mein Handwerk ist mein Beruf.
Bis zum nächsten Fall,
Euer Sherlock MS