Der Fall des tätowierten Lymphknotens

Nr. 36

Der Fall des tätowierten Lymphknotens

Es war ein typisch Londoner Nachmittag: leichter Nieselregen, ein roter Doppeldecker quer im Stau, ein Motorradkurier, der sämtliche Verkehrsregeln als höfliche Empfehlung interpretiert und ich, SherlockMS, saß in meiner Wohnung über den Dächern der Stadt und bekam einen neuen Fall auf den Tisch.

Keine Mordwaffe, keine Fingerabdrücke. Nur: Tattoo-Tinte, ein geschwollener Lymphknoten und Impfantworten, die sich benahmen, als hätte jemand heimlich am Immunsystem herumgeschraubt.


Ein Forschungsteam hatte genau das untersucht: Was macht Tattoo-Tinte im Körper – und vor allem im drainierenden Lymphknoten? Was ich las, war kein kosmetischer Nebeneffekt. Es war ein kleiner, feiner Immun-Kriminalfall. 🔍


🎯 Tatort Haut – Fluchtweg Lymphbahn


Beim Tätowieren wird Pigment tief in die Haut gestochen. Ein Teil bleibt vor Ort – der Rest nimmt die Lymphgefäße als Schnellstraße in den nächstgelegenen Lymphknoten.

Dort landet die Tinte nach kurzer Zeit: Der Knoten schwillt an, wird dunkel – wie ein winziges Stück Kohle im Gewebe.

Am Tatort warten schon die Makrophagen, die Fresszellen des Lymphknotens. Ihr Job: Alles einsammeln, was nicht dahin gehört. Bakterien, Viren, Partikel… und eben Tattoo-Tinte.

Unter dem Mikroskop sieht man: Makrophagen und sogenannte Riesenzellen sind randvoll mit Pigment, als hätten sie ein All-You-Can-Eat-Buffet unterschätzt.


💥 Wenn die Müllabfuhr vergiftet wird


Und jetzt wird es brenzlig: Die Tinte liegt nicht einfach harmlos herum, sie ist für Makrophagen giftig. Erst nehmen ihre Zahlen zu: der Knoten reagiert, zieht Zellen an. Dann kippt das System: immer mehr Makrophagen sterben den Zelltod.

👉 Ergebnis:

  • Zelltod-Signale
  • freigesetzter Zellinhalt
  • ein dauerhaft gereizter Lymphknoten

Und wo es Zelltod gibt, ist die Entzündung nicht weit. Der tätowierte Lymphknoten benimmt sich wie ein Polizeirevier im Dauer-Alarmmodus: mit Schwellungen, mehr T-Zellen, B-Zellen & NK-Zellen sowie erhöhte Entzündungsbotenstoffe.

Und das nicht nur für ein paar Tage. Noch Wochen später ist der Knoten entzündet, voller Tinte, immunologisch „auf Kante genäht“.


💉 Wenn die Impfung mitten in den Kriminalfall platzt


Jetzt kommt der eigentliche Twist der Geschichte. Die Forscher haben geprüft, was passiert, wenn man in dieses tätowierte Gebiet eine Impfung setzt.

Zuerst: eine mRNA-Impfung (analog zu den COVID-Impfstoffen).

Im tätowierten Lymphknoten passiert Folgendes:

  • Die Makrophagen sind mit Tinte beschäftigt und angeschlagen
  • Sie nehmen weniger Impfstoff auf
  • Sie präsentieren dem Immunsystem schlechter das Antigen

Konsequenz: Die Antikörperantwort ist abgeschwächt.


Der Impfstoff ist derselbe, aber das „Publikum“ im Lymphknoten ist halb vergiftet, müde und abgelenkt.

Tattoo-Tinte wirkt hier wie ein Saboteur, der genau an der Schaltstelle sitzt, an der eigentlich die Impfantwort hochgefahren werden soll.

Beim zweiten Impfstoff, einem inaktivierten Virus, sieht es teilweise anders aus:
Hier kann die dauerhafte Entzündung sogar wie ein Adjuvans wirken, also die Antwort verstärken. Der gleiche Auslöser (Tinte + Entzündung) kann also je nach Impfstofftyp:

  • mRNA-Antwort dämpfen
  • klassische Virusimpfung teilweise pushen

Für einen Detektiv ist das kein Widerspruch, sondern ein Hinweis: Tattoo-Tinte greift nicht „irgendwo“ ein, sondern recht spezifisch in die Art, wie Antigene aufgenommen, verarbeitet und präsentiert werden.


🧠 Und was hat das mit MS zu tun?


Nein, keiner muss jetzt panisch zum Tattoo-Entfernungs-Laser rennen.
Aber die Botschaft ist klar:

  1. Tattoos sind Immun-Eingriffe, nicht nur Deko.
    Pigmente wandern in Lymphknoten, bleiben dort lange und verändern deren Milieu.
  2. Lymphknoten sind zentrale Schalthebel.
    Sie steuern Impfantworten, Infektabwehr – und sind auch bei Autoimmunerkrankungen wie MS beteiligt.
  3. Kontext ist alles.
    Impfung + Tattoo + Immuntherapie können sich gegenseitig beeinflussen, im Guten wie im Schlechten.

Für Patienten mit MS heißt das nicht „keine Tattoos mehr“, sondern:


🗓️ Timing und Ort überlegen


Großflächige frische Tattoos genau dort, wo auch geimpft wird, sind immunologisch mindestens unübersichtlich.

Ein kurzer Satz mit dem Neurologen à la „Ich plane ein großes Tattoo, gleichzeitig steht eine Impfung / neue Therapie an – sollten wir etwas beachten?“ …kann hier sehr sinnvoll sein.

Ich persönlich werde jedenfalls künftig nicht nur auf Gehirn, Blutbild und MRT schauen, sondern mir bei komplexen Fällen auch die Hautkarte und die Tattoo-Landkarte des Patienten genauer ansehen.

Denn wie dieser Fall zeigt: Manchmal sitzt der unauffällige Komplize nicht im Kopf, nicht im Blut, sondern als bunte, scheinbar harmlose Wolke in einem Lymphknoten, der schon viel länger überlastet ist, als jemand ahnt.


SherlockMS, Chief Officer for Lymph Node Mysteries, London

Referenz